Vorfreude ist die schönste Freude
Heute ist wieder einmal ein schöner Badetag. In den letzten Tagen war es auch sonnig, aber heute …! Aber heute muss ich schwimmen in meinem Teich. Er gehört natürlich nicht mir. Doch ist er meine erste Wahl. Bei „Schwimmen-Gehen“ fällt er mir immer als erster ein. Er ist rundherum von Schilf umwachsen. Einige Bäume stehen am Rand, senken sich sogar etwas über das Wasser. Es gibt auch einen Kirschenbaum, von dem ein paar Äste so weit zur Wasseroberfläche herunterhängen, dass man schwimmend Kirschen pflücken kann! Wo gibt es noch so etwas? Und das Haubentaucher Pärchen! Das ist jedes Jahr wieder da. Und wenn es im Schilf piepst, dann weiß ich, dass ich bald Junge sehen werde. Herrlich, wie lange so ein Haubentaucher unter Wasser verschwinden kann, um dann mit einem Fisch quer im Maul zu seiner Brut zu schwimmen. Selbstverständlich gibt es Wildenten, deren Junge in Reihe auf mich zu schwimmen, wenn sie ihre Mutter momentan aus den Augen verloren haben. Bald erkennen sie ihren Fehler und sie drehen sofort ab. Heuer habe ich sogar eine Schildkröte gesehen. Aber die sind scheu! Ich beobachte sie, wenn ich sie überhaupt erspähe, nur aus angemessener Entfernung. Selbst wenn man ohne Wellen zu schlagen hingleitet, erkennen sie einen schon von weitem und verschwinden im Wasser. …. Wenn man nicht auf die Lagerhallen ringsum schaut, könnte man glauben man wäre in einem Naturreservat. Ich freue mich.
Eine Tante – Gott hab sie selig! – hat mir seinerzeit gesagt: Vorfreude ist die schönste Freude. Derer muss ich mich heute bedienen, denn ich muss ja heute ins Spital!! Nein, keine Angst, mir geht es gut. Aber ich habe versprochen, habe der Gruppe, habe mir versprochen, jeweils an dem Wochentag, der gerade heute ist, Besuchsdient zu machen. Und ich kann der Gruppe, aber vor allem mir selbst es nicht antun, das Versprechen wegen des Schwimmens zu brechen. Der Gruppe gegenüber ginge es ja noch; da fiele mir schon eine Begründung ein. Aber ich selbst bin so wichtig, mir kann ich das nicht antun. Jede fadenscheinige Begründung würde ich, da sie ja von mir selbst stammt, sofort als solche entlarven.
Also , kein Zögern. Mit dem Rad bin ich in kürzester Zeit im Spital. Ich gehe in den dritten Stock. Wenn ich schon nicht Schwimmen gehe, muss ich doch den harmlosen Sport des mehr oder weniger raschen Stiegensteigens betreiben. Dabei denke ich – der Teich ist vergessen – dabei denke ich: Werden die Schwestern und Pfleger schon in ihrem Zimmerl sein zu einer kurzen Verschnaufpause, wo ich sie nicht gern störe, oder werden sie noch eifrig Patientendaten abgleichen und/oder noch geschwind wo eine Infusion anhängen oder, oder … Zu tun haben sie immer.
Ich werde nicht immer freundlich begrüßt. Ich werde nie unfreundlich begrüßt. Aber manchmal werde ich gar nicht begrüßt. Dann, wenn sie voll in ihrer Arbeit versunken sind. Und dabei müssen sie sehr konzentriert sein. Es sind ja Menschen, denen sie dienen. Auch wenn es nicht immer gleich um Leben und Tod geht: Fehler dürfen nicht passieren. Und da ist es vorerst egal, wer da am Gang herumsteht. Jedenfalls grüße ich und nehme mir ohne viel zu fragen aus der Stellage unser Hospiz-Merkbuch. Kaum scheint eine Schwester einen Augenblick frei zu sein, frage ich sie schon nach Kandidaten für meinen Besuch.
Diesmal ist Andrea mein Opfer. „Ja auf 8 die Frau Gurt, und die Frau Eckl – doch nein, die hat gerade Besuch. Auf 9, ja dort, schau‘n Sie halt, fast jede. Für die hinteren Zimmer müssen Sie die Martina fragen.“ Martina ist momentan nicht zu sehen. Ich beginne mit Zimmer 8. Ich klopfe an und trete ein. „Grüß Gott. Ich bin der Josef Ruffer vom Besuchsdienst.“ Dabei schaue ich schon in die Runde, 6-Bett-Zimmer. Da sehe ich gleich wer mich interessiert ansieht, wer schläft, wer die Augen schließt und sich zur Seite dreht. Wo ist die Frau Gurt. Hier, aber die schläft. Doch die Frau Wetter daneben, schaut so neugierig. Die kann ich nicht enttäuschen.
Der Garten in Achau
„Grüß Gott Frau Wetter. Ich bin der Josef Ruffer vom Hospiz-Besuchsdienst. Wie geht es heute?“ Ich habe gelernt: Wenn es einem wirklich gut ginge, wäre man ja nicht im Spital. Aber heute kann es gegenüber gestern schon besser sein. Heute könnte ein „guter“ Tag sein. „Ja, dank‘ schön. Es muss schon gut sein. Wie es ist, so ist’s.“ „Haben Sie keine Schmerzen?“ „Nein, heute nicht. Aber wenn ich nur schon heim könnt.“ „Ja klar. Die Schwestern sind zwar recht lieb, und die Pflege ist recht gut, wie ich sehe, aber z’Haus ist z’Haus“. „Ja, da haben Sie recht. Da kann man nichts sagen. Aber mein Garten. Da wär ja so viel zu tun.“ „Ah, Sie haben einen Garten? Und den machen Sie noch selber.“ „Ja, ja der ist mei‘ Freud. Für die schweren Sachen hab ich schon wem.“ Und da beginnen die Augen von Frau Wetter lebendig zu werden. Sie erzählt begeistert, kommt in Fahrt. Was mir der Teich, ist ihr der Garten!
Die Obstbäume hat sie weggetan. Sie kann nicht mehr ernten. Und die Leut‘ nehmen es nicht einmal mehr geschenkt. Die kaufen lieber im Supermarkt. Aber einen Zwetschken- und einen Marillenbaum hat sie behalten. „Na ja, für die Enkel. Die haben a Freud – hoffentlich. Mei‘ Liebstes sind mir aber die Blumen.“ Und sie beginnt zu erzählen von …, und von … und von … Die Namen habe ich mir nicht gemerkt. „Jetzt ist’s eh leichter. Da brauch‘ ich ja eigentlich nur gießen. Aber im Herbst. Die Blumen sind mei‘ Freud. Ich habe schon meine Leut‘, denen ich welche gib. Von der Kirche kommen sie auch immer wieder. Is‘ schon gut, wenn andere ah a Freud haben.“ „Wo haben‘s denn den schönen Garten?“ „Na ja, wissen‘s eh, in Achau“. „Nein, das hab ich nicht gewusst. Aber Achau kenn ich. Da fahren wir manchmal zur Kaiserschleuse und gehen dann eine große Runde zwischen den Feldern. Das ist schön. Da sieht man so viel Himmel, die Wolkenstimmungen, Rebhendln, Reh. „Schön haben‘s es dort. Ich wünsch‘ Ihnen, dass Sie bald wieder dort sind bei Ihren Blumen. Übrigens, sind Sie oft im Hochwasser?“ „Na, Gott sei Dank, zu mir kommt’s nicht. Schön, dass mi besucht haben. Kommen‘s einmal bei mir rein, wenn’s in Achau sind!“ Dankbar und freudig lacht sie mich an.
Frau Gurt ist inzwischen aufgewacht. Ihr geht es nicht so gut. Sie spricht leise und mühsam. Ich muss mich zu ihr beugen und laut sprechen, damit sie mich versteht. Irgendwie kommen wir auf ihren Sohn zu sprechen. Dann erzähle ich ihr von unseren Kindern und Enkeln. Ich habe den Eindruck ihr bringt auch die Erzählung von meiner Familie zumindest Abwechslung. Jedenfalls braucht sie nicht so viel sprechen. Sie verabschiedet sich leise und dankbar, wirkt doch etwas müde. Vielleicht hätte ich nicht so lange mit ihr sprechen sollen? Na ja!
Inzwischen hat auch die Dame neben Frau Eckl Besuch bekommen; zwei schlafen, wirklich oder nur offiziell. Ist ja egal. Ich verlasse allgemein grüßend das Zimmer. Ich suche Schwester Martina, finde sie nicht, aber Sabine kann mir Auskunft geben. In den Klassezimmern 312 und 313 kein Bedarf. „Na vielleicht hätte der Herr Kogler auf 312 eine Freude, wenn Sie kommen. 311 – nein, da ist niemand (der Besuch braucht!), auf 310 – Martina (ist inzwischen aufgetaucht), wen haben wir da für Herrn Ruffer?“ „Na vielleicht die Frau Bergler beim Fenster rechts oder die Frau Taler gleich hinter der Tür?“ „Ja, ja.“ „Danke meine Damen, ich halte Sie nicht länger auf“. Sie lachen und eilen weiter.
Gut dass Sie da waren
Nach Abschluss der Besuche auf der Station A (mit den Zimmern 308 bis 313!), läuft der zweite Akt auf der Station B (mit den Zimmern 301 bis 307; ist das nicht logisch?) so ähnlich ab wie der erste auf A. Station B ist die Männerseite. Nach Beendigung meines Dienstes verabschiede ich mich im Vorbeigehen von den im Augenblick sichtbaren Schwestern und Pflegern. Von irgendwo höre ich ein „Danke!“. Wenn ich dann sage „Ich habe Euch ja gar nicht geholfen!“, heißt es „Nein, nein, es war schon gut, dass Sie da waren. Wir hab’n so wenig Zeit dafür.“
Ich gehe sehr zufrieden und froh zum Rad. Alle besuchten Patienten waren froh oder zumindest zufrieden, weil ich bei ihnen war. Zu den anderen gehe ich ja gar nicht. Die Sonne hat geschienen. Leider waren manche Sonnenlamellen herunten, weil vormittags die Sonne zu stark hereinbrennt. Ich habe einige Menschen kennen gelernt, diverse Geschichten und Erzählungen gehört. Der Nachmittag war schön und abwechslungsreich. Ich habe Zuwendung gegeben und Zuwendung bekommen. Ein Freund von mir hat mir gesagt: “Weißt du, das sind selbstbelohnende Tätigkeiten.“ Wie recht er hat! Auch hier könnte man sagen, man bekommt die gleiche Münze zurück wie die, mit der man gezahlt hat. Ach ja, der Teich. An den habe ich die ganze Zeit über gar nicht gedacht. Der Dienst ist immer spannend. Auch wenn sich jetzt kein Schwimmen mehr ausgeht: Es war ein guter Tag!